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Warum sollte ich wählen?

„Es bringt eh nichts.“ „Meine Stimme ist nur eine von vielen.“ Oder: „Ich gehe ja zur Wahl, ich gebe nur niemandem meine Stimme.“ Sätze wie diese hört man immer wieder. Doch wie überzeugend sind diese Argumente des Nichtwählens? Gerade im Superwahljahr 2024 hat Deine Stimme so viel Einfluss wie nie. Fünf gute Gründe fürs Wählen.

Am 9. Juni gilt es: Fast 65 Millionen Menschen in Deutschland sind berechtigt, die Mitglieder des Europäischen Parlaments zu wählen. Am selben Tag finden in acht Bundesländern Kommunalwahlen statt: in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Und im September wählen die Bürgerinnen und Bürger in drei Bundesländern – Brandenburg, Thüringen und Sachsen – einen neuen Landtag.

Ohne Zweifel: 2024 ist ein Superwahljahr. Die Abstimmungen gelten als wegweisend für Deutschland und sind mehr als nur ein Vorlauf für die Bundestagswahl 2025. Doch nach wir vor gibt es Menschen, die dem Wählen skeptisch gegenüberstehen und sich fragen: Warum sollte ich überhaupt wählen gehen?

Erster Grund: Je ausgeglichener die Machtverhältnisse, desto wichtiger ist Deine Stimme

Die Parteienlandschaft wird immer kleinteiliger und der Vorsprung der demokratischen Mitte schmilzt.

Was heißt das? Schauen wir uns das einmal am Beispiel des Deutschen Bundestags an: Bis Anfang der 80er Jahre gab es maximal drei Fraktionen (abgesehen von den Nachkriegsjahren). 1983 schafften die Grünen erstmals den Einzug ins Parlament, nach der Wiedervereinigung kam die damalige PDS dazu. Im Jahr 2021 sind nun acht Parteien in den Bundestag eingezogen, durch eine Abspaltung kam in der laufenden Legislaturperiode sogar noch eine weitere Partei hinzu.

Gleichzeitig mussten die traditionell meistgewählten Parteien CDU und SPD in den vergangenen Jahren immer stärkere Stimmenverluste einstecken – manche sprechen deshalb gar vom Ende der großen Volksparteien. Fakt ist, die Parteienlandschaft hat sich verändert, sie ist fragmentierter geworden.

Dadurch verschieben sich auch die Machtverhältnisse. Das kann eine lebendige Demokratie aushalten – vorausgesetzt es machen so viele wie möglich Gebrauch von ihrem Wahlrecht. In Zeiten, in denen keine Partei beziehungsweise kein politisches Lager mit großem Vorsprung die Umfragen dominiert, kann Deine Stimme die Stimmung verändern, sie wird zum Zünglein an der Waage.

Zweiter Grund: Abstimmen stärkt nicht nur die Partei, die Du wählst – es schwächt gleichzeitig alle anderen

Die eigene Stimme hat mehr Gewicht, als viele vielleicht denken. Mit Deinem Votum unterstützt Du nicht nur eine bestimmte Partei. Wenn Du wählst, verschlechtert sich automatisch das Wahlergebnis für alle anderen Kräfte.

Ein Rechenbeispiel verdeutlicht es: Angenommen, fünf Personen haben die Wahl zwischen drei Parteien (A, B und C). Für Partei A votieren zwei Personen. Für Partei B eine Person. Für Partei C ebenfalls eine Person. Der fünfte Wahlberechtigte stimmt nicht ab. Demnach beteiligen sich vier von fünf Personen an der Wahl, wonach sich folgende Stimmverteilung ergibt.

Partei A kommt auf 50 Prozent, die Parteien B und C erreichen 25 Prozent. Die Kräfteverhältnisse würden sich ändern, wenn auch die fünfte wahlberechtigte Person ihre Stimme abgibt. Und zwar nicht nur zugunsten der Partei, die sie wählt, sondern auch zu Ungunsten der Parteien, für die sie sich nicht entscheidet. Wählt die Person beispielsweise Partei A, ergibt sich folgende Verteilung.

Partei A würde 60 Prozent der Stimmen bekommen – zehn Prozent mehr. Die Parteien B und C würden jeweils nur 20 Prozent statt 25 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Das Phänomen des Schwächens aller Parteien, für die man sich nicht entscheidet, bleibt in jeder erdenklichen Wahlkonstellation bestehen. Wer wählt, unterstützt und schwächt also zugleich. Das bedeutet auch: Wer seine Stimme nicht abgibt, stärkt indirekt alle Parteien, die man auf keinen Fall wählen würde. Will man verhindern, dass demokratiefeindliche Parteien stärker werden, gibt es nur eine Wahl: Wählen.

Dritter Grund: Wer sich mit seiner Stimme gegen extreme Kräfte erhebt, tut Gutes für das Land

Extremistisch orientierte Parteien verfolgen Ziele, welche die Demokratie gefährden und das Land destabilisieren. Ein Beispiel für eine Forderung aus diesem Lager ist unter anderem der Austritt aus der Europäischen Union. Welche Folgen das für Deutschland hätte, deutet der EU-Austritt Großbritanniens im Jahr 2020 an. Der sogenannte „Brexit“ kostet das Land laut einer Studie jährlich umgerechnet 163 Milliarden Euro. Der Verlust beläuft sich auf etwa sechs Prozent der britischen Wirtschaftsleistung. In Deutschland wäre mit vergleichbaren Ausfällen zu rechnen – zulasten von Wirtschaft und Gesellschaft.

Weitere Ziele, die insbesondere rechtsextremistisch orientierte Parteien anstreben, sind:

  • Diskriminieren von Menschen mit Migrationshintergrund

  • Festhalten an veralteten Geschlechterrollen und damit verbunden das Ausbremsen der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung

  • Erschweren von Schwangerschaftsabbrüchen

  • Einschränken der Presse, des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Meinungsvielfalt

  • Beenden der Klimaschutzmaßnahmen, Weiterbetreiben von Kohlekraftwerken und Limitieren erneuerbarer Energien

Es ist nicht mehr abwegig, dass Forderungen dieser Art auch in Deutschland Realität werden, wie man es teilweise in anderen Ländern der EU wie Italien oder Bulgarien sehen kann. Insofern zählt jede Stimme gegen demokratiefeindliche Strömungen. Auch wenn die Politik nicht sofort für alle Herausforderungen Lösungen findet: Nur in echten demokratischen Prozessen können solche Lösungen entwickelt werden. Daher sind es die demokratischen Parteien, die für politische Stabilität stehen und sie erhalten.

Vierter Grund: Ins Wahllokal gehen bringt nur etwas, wenn man den Zettel korrekt ausfüllt

Den Wahlzettel durchstreichen oder zu viele Kreuze setzen: Viele Wahlberechtigte machen den Stimmzettel ungültig. Manche drücken damit aus, dass sie die Demokratie zwar gut und das Wahlsystem in Ordnung finden. Nur können sie sich nicht durchringen, eine Partei zu wählen. Darin steckt eigentlich ein guter Gedanke: Man ist mit der Arbeit der Parteien unzufrieden, zeigt aber, dass man weiterhin am politischen Leben teilnehmen will.

Faktisch macht es jedoch keinen Unterscheid, ob die Beteiligten den Stimmzettel ungültig machen oder gar nicht ins Wahllokal gehen. In das Wahlergebnis fließen lediglich die abgegebenen Stimmen ein. Die prozentuale Verteilung beruht allein auf gültig ausgefüllten Papieren.

Was sich lediglich ändert, ist die Wahlbeteiligung: Auch Personen, die sich im Wahllokal registrieren, aber keine gültige Stimme abgeben, werden als Wahlbeteiligte in die Statistik aufgenommen. Jedoch ist es ein Irrtum, dass sich dies auf die Stimmverteilung auswirkt. Rechnerisch folgt daraus allein, dass Parteien weniger absolute Stimmen brauchen, um bestimmte Prozentwerte zu erreichen.

Und niemand ist mit einer Partei hundertprozentig zufrieden. Schon gar nicht hundertprozentig mit allen Personen, die sich für diese Parteien wählen lassen. Ein kleiner Kompromiss mit sich selbst beginnt daher schon an der Wahlurne. Kompromisse sind ein demokratischer Erfolg!

Fünfter Grund: Wählen ist ein Privileg

Aus dem Haus gehen, ins Wahllokal spazieren, in der geschlossenen Kabine votieren: Eine freie Wahl ist keine Selbstverständlichkeit. In vielen Ländern schränken Diktaturen die Rechte der Menschen ein. Darunter auch das Wahlrecht. Die Bevölkerung in diesen Staaten hat kaum Einfluss auf diejenigen, die ihr Land lenken. Teilweise bekämpft der Sicherheitsapparat demokratische Bestrebungen gar mit Gewalt und Freiheitsentzug.

In Deutschland ist das anders. Jede Person, die zur Stimmabgabe berechtigt ist, kann zwischen vielen Parteien wählen – ohne Angst vor Konsequenzen. Die Abstimmung ist geheim und eines der höchsten Güter, die wir im Land haben. Schützen wir das Wahlrecht – indem wir es wahrnehmen.